Joanna Bator
Polen
"Ich trug die Gegenstände zusammen, die deutsche Bewohner von Wałbrzych verloren hatten, aus demselben Grund, weshalb ich wenig später, als Teenager, auf Flohmärkten in Unterschlesien alte Bilder kaufen würde. An den Hunger nach Erzählungen erinnere ich mich als die schlimmste Entbehrung meiner Kindheit. Meine Großeltern starben, noch bevor ich bereit war, ihre Erzählungen zu hören, einmal vorausgesetzt, sie hätten den Wunsch verspürt, diese mit mir zu teilen. Auf jeden Fall waren sie diejenigen, die sich an ein anderes Leben, ein Leben vor dem Krieg in anderen, nicht in diesen „wiedergewonnenen“, sondern eigenen Gebieten erinnern konnten. Aber vielleicht wollten sie sich gar nicht erinnern, denn sie fuhren nie ins heimatliche Radom, es war eher so, dass in Wałbrzych stets neue Verwandte aus jenen Gegenden auft auchten, um sich hier niederzulassen, angelockt vom Glanz der zwei ehemals deutschen Zimmer, in denen meine Großeltern wohnten, und später dem Reiz der Plattenbausiedlung. Die Generation meiner Eltern bewahrte nur Fetzen von Erzählungen, so speckig und abgenutzt, dass sie nicht viel taugten. Sie schlugen immer tiefere Wurzeln in der Stadt, die aus einer ehemals deutschen zu einer polnischen und unsrigen wurde. Sie glaubten an den Fortschritt und die Modernität, sie marschierten in Umzügen am Ersten Mai mit, doch bald stellte sich heraus, dass die neue wunderbare Welt eine Illusion war, dass sie weder schön noch reich sein würde. Die Enttäuschung war schmerzlich, das Leben gönnte ihnen nicht die Verschnaufpause, die einem das Wissen gestattet, dass sich die Mühe der Arbeit gelohnt hat. Die Sehnsucht in den Erzählungen meiner Eltern war in die Zukunft gerichtet, weil ihnen immerhin die Hoffnung blieb, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft haben würden. Ich war ein Kind der Zukunft, eine Prinzessin aus dem Märchen, das erst geschehen wird. Wozu sollte man alte Geschichten ausgraben?"