Alexis Jenni

"Mit der Sowjetunion dagegen verhält es sich anders. Das, was dieses Wort, vor allem der Bestandteil „Sowjet“ bezeichnete, ist verschwunden – als Land, als Gesellschaft, als Regierungsform, als Vorstellung von Mensch und Gemeinwesen, als Utopie und Antiutopie, als allgemeine Atmosphäre und als die gesamte Wirklichkeit der einen Teil von Europa ausfüllenden grauen Farbe. Die Sowjetunion ist in all ihren Aspekten in Vergessenheit geraten – und sogar mehr als nur in Vergessenheit: in Unkenntnis. Man weiß nicht mehr, was das ist, man will es nicht einmal wissen, die Karikatur genügt: Ein Teil der Welt ist verschwunden, und sogar die Erinnerung an sie ist verschwunden und selbst die Bedeutung des Wortes ist verschwunden.

Darüber kann man froh sein. Wäre ich Pole, Rumäne oder Tscheche statt Franzose, wäre ich wahrscheinlich der Ansicht, dieser unheilvolle Teil der Welt mit seiner unheilvollen Regierungsform verdiene es nicht anders, aber so einfach ist es nicht. Alles ist in unserer Welt miteinander verzahnt, und wenn ein Teil verschwindet, so kippt, was uns zu bleiben scheint, seinerseits unmerklich unter unseren Füßen um."